Texte über meine Fotografie


SICHTWEISEN

Dieses Gespräch mit Werner Rauber führte Nicole Nix im Mai 1997 anläßlich der Ausstellung  "Sichtweisen" in Neunkirchen/Saar,  Galerie im Museum Bürgerhaus

(veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung: Werner Rauber, Sichtweisen: Fotografische Arbeiten, 20. Juni - 27. Juli 1997, Galerie im Museum Bürgerhaus, 66538 Neunkirchen, Herausgeber: Neunkircher Kulturgesellschaft gGmbH)

N. N.: Trotz der pluralistischen Erscheinungsformen zeitgenössischer Fotografie ist der Diskurs zwischen den beiden großen Richtungen der sachlich-dokumentierenden Fotografie auf der einen Seite und den Vertretern visualistischer Konzepte auf der anderen noch immer aktuell. Mit Ihren fotografischen Arbeiten bieten Sie dem Betrachter "Sichtweisen" an, d.h. es geht Ihnen weniger um das Motiv und dessen objektive Wiedergabe, als vielmehr um seine möglichen Lesarten. Wie einige Ihrer Werkgruppen zeigen, können diese Sichtweisen aber durchaus auch dokumentarischen Charakter haben. Wo sehen Sie Ihren Standort?

W.R.: Der unterschiedliche Ansatz wird sehr treffend ausgedrückt durch die englische Wendung "to take a picture - to make a picture". Für meine Fotografie möchte ich diese Polarität jedoch nicht gelten lassen, schon weil ich diese beiden fotografischen Arbeitsweisen für mich nicht trennen kann. Fotografie ist zwar immer abhängig von den sichtbaren Gegebenheiten, aber auch das um Objektivität bemühte dokumentarische Foto muß aufgrund der medialen Bedingungen und Einschränkungen fragwürdig bleiben. Deshalb kann Fotografie niemals objektiv sein. Ich finde hier eher einen graduellen Unterschied, der fließend ist. Objektives und Subjektives gehen ineinander über.

N. N.: Was bedeutet das konkret für Ihre fotografische Arbeit, bei der Sie ja seriell vorgehen und unterschiedliche Schwerpunkte setzen?

W.R.: Fotografie ist für mich vor allem ein Hilfsmittel, um mit dem, was ich sehe, umzugehen. Man kann meine Arbeitsweise vergleichen mit dem Notieren von Gedanken, die man später parat haben will, um etwas Bestimmtes zu formulieren. Auf diese Weise fotografiere ich, um dann mit dem "Rohmaterial" umzugehen. Das kann eher dokumentarisch sein - wenn ich beispielsweise wie bei der Serie meiner Bergehalden-Bilder Veränderungen zeigen will, die sich im Laufe der Jahre vollziehen - oder ich benutze dieses fotografische Rohmaterial, um Wirklichkeit neu zu gestalten, weil mir die Fotografie dazu geeignet scheint. Sie ist, entgegen der immer noch weitverbreiteten Meinung, eben nicht das Medium, das Wirklichkeit gültig, wahr und authentisch wiedergibt.

N.N.: Was veranlaßt Sie dazu, eine Bergehalde über nunmehr 26 Jahre hinweg immer wieder vom gleichen Standort aus zu fotografieren?

W.R.: Ausgangspunkt war für mich zunächst der ästhetische Reiz des Motivs. Dann habe ich beobachtet, wie sich dieses Motiv in relativ schneller Zeit verändert. Zum einen natürlich bedingt durch den Wechsel der Jahreszeiten, die den schon bewachsenen Stellen jeweils ein anderes Gesicht gaben, aber die Halde nahm auch von Jahr zu Jahr eine andere Gestalt an. Sie veränderte sich durch Aufschüttungen, also durch Eingriffe des Menschen, wie auch durch die Natur, etwa durch neuen Bewuchs oder Erosionen. Ich werde die Veränderungen weiter fotografisch verfolgen, nicht nur als Dokumentation einer Landschaft, sondern auch als Dokumentation einer Sichtweise.

N. N.: Hat sich denn Ihre Sichtweise, mit der Sie diesem Motiv begegnen, während der Jahre ebenfalls verändert?

W.R.: Ich selbst bin durch diese Arbeit dazu veranlaßt worden, meine Fotografie immer wieder kritisch zu hinterfragen. Rückblickend frage ich: Was von all diesen Jahren halten die Fotos eigentlich fest außer dem ständig wechselnden äußeren Erscheinungsbild? Was wird später noch von der ursprünglichen Bedeutung dieser unbrauchbaren, aufgeschütteten Erde zu erkennen sein, die man wieder der Natur überlassen hat? So hat sich mein Interesse als Fotograf vom Motiv hin zu der grundsätzlichen Uberlegung verlagert, was Fotografie überhaupt von der Wirklichkeit wiedergeben kann.

N.N.: Bis sich die Fotografie als Gattung der Kunst etabliert hatte, wurde ihre vermeintliche Authentizität ja kaum infrage gestellt. Erst als sie in den siebziger Jahren begann, ihre Medialität zu reflektieren und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit zu analysieren, gerieten die ihr traditionell zugeschriebenen Wahrheitskriterien ins Wanken. Muß die medienkritische Auseinandersetzung Aufgabe künstlerischer Fotografie sein, um so eine bewußtere Rezeption zu fördem?

W.R.: Ich betrachte dies als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, durch die sie sich ja gerade von der Flut der zweckgebundenen Gebrauchsfotografie abgrenzt. Die Allgegenwärtigkeit fotografischer Bilder vermittelt uns nicht Wirklichkeit, sondem ein Konstrukt der Wirklichkeit. Wir sehen die Realität so, wie sie uns die Fotografie liefert, und hier entsteht ein bedenklicher Zirkel: Wir sprechen der Fotografie Realitätsgehalt zu, weil wir inzwischen gelernt haben, fotografisch zu sehen. Eine Chance, diesen Zirkel zu durchbrechen, sehe ich darin, die fehlende Ubereinstimmung mit der Wirklichkeit im Bild selbst aufzuzeigen.

N.N.: Wie in Ihren aus Einzelfotos komponierten Arbeiten, die den Betrachter absichtlich irritieren, weil sie sich seiner ldentifikationserwartung widersetzen. Etwa indem sie mehrere Sichtweisen eines Motivs aneinanderreihen, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen, obwohl sie sich lediglich durch den Wechsel des fotografischen Standpunktes ergeben haben.

W.R.: Ein ganz simples Beispiel dafür, daß man dem, was man im Foto sieht, nicht trauen kann. Eine weitere Möglichkeit des Mediums bietet mir die freie Kombination von Einzelfotos, die ich nach einem von mir geplanten Programm zu einem neuen Gesamtbild zusammensetze. Bei diesem Spiel mit fragmentarischen, fotografisch festgehaltenen Einzeleindrücken, die ich ansonsten nicht weiter verfremde, übertrage ich den Mechanismus, dem unsere Wahmehmung unterworfen ist, auf die Fotografie. Ich "mache mir ein Bild" aus einzelnen Bruchstücken der Wirklichkeit, die ich aussortiert und nach meinem individuellen Programm geordnet habe - ähnlich wie es unbewußt beim Sehen geschieht. Der Betrachter, der dieses Spiel natürlich durchschaut und die Bruchstückhaftigkeit erkennt, ist dennoch gezwungen, die Arbeit als Gesamtbild wahrzunehmen, das so mit der Wirklichkeit nie übereinstimmen kann.

N. N.: Indem Sie den einzelnen fotografischen Ausschnitt also nicht mehr als wirklichkeitsanaloges Bild präsentieren, sondem in serieller Reihung und damit tatsächlich als Ausschnitt, als Teil eines neuen, so noch nie gesehenen ästhetischen Zusammenhangs, fordem Sie den Betrachter zu ständigen Fragen und zur Reflektion über sein eigenes Sehen heraus. Steht dahinter nicht ein ziemlich didaktisch orientiertes Kunstkonzept?

W.R.: Ein idealistisches, würde ich sagen. Meine fotografische Absicht zielt nicht auf die Reproduktion der Wirklichkeit, sondern sie thematisiert unsere eingeschränkte und vorgeprägte Wahrnehmung dieser Wirklichkeit. Hierin sehe ich eine Möglichkeit der Fotografie, an der "Freiheit des Sehens" mitzuwirken. Doch hinter dieser rationalen, analytischen Ebene darf die ästhetische nicht zurücktreten. Es geht mir letztlich immer darum, ein gutes, stimmiges, oder wenn man so will, ein schönes Bild zu machen, und dies hat sehr viel zu tun mit Sinnlichkeit, mit reiner Augenlust.

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Werner Rauber: "Vom fotografierten Abbild zum fotografischen Bild"     Serien, Sequenzen, Tableaus

Verschriftete Rede zur Eröffnung der Ausstellung in Dagstuhl/Saar von Professor Dr. Dietfried Gerhardus, Philosophisches Institut der Universität des Saarlandes, Mai 2000

Die Fotografie steht im Zenit ihrer Akzeptanzgeschichte als abbildende Bildkunst. Heute scheint sie in der Lage, sich sogar mit der nichtabbildenden Bildkunst zu verschwistern. Doch was "hält" Malerei und Fotografie "im innersten zusammen"? Die sich immer wieder neu stellende Frage nach dem Bild! Blicken wir hundert Jahre zurück.

Um 1900 erlebt die europäische Bildende Kunst einen Grundlagenstreit um die Abbildlichkeit des Bildes, ganz entscheidend mitverursacht durch die rasanten technischen Fortschritte der Fotografie in der Abbildlichkeit, schwarzweiß und bald auch in Farbe. Pikturale Repräsentation gerät in die Krise. Gegenüber den sogenannten Traditionalisten behielten damals die sogenannten Abstraktionalisten die Oberhand. Beiden Parteien ging es um die Befreiung des Bildes vom Abbild zum Bild. Dieser Grundlagenstreit spitzte sich in Deutschland zu z. B. zwischen dem Traditionalisten Max Beckmann und dem Abstraktionalisten Franz Marc, ungeachtet dessen, daß sich beide Künstler einem kritischen Bildbegriff verpflichtet fühlten. Die Wahl zwischen abbildendem, depiktivem oder bildendem, piktivem Bild ist am besten greifbar im Gliederungswechsel von der altehrwürdigen relationalen Bildkomposition, verstanden als hierarchisierendes Ausponderieren, zur computergeeigneten nicht relationalen Bildsyntax, verstanden als symmetrische gleichgewichtende Reihung, die auf das Bild als Eigenschaftsträger verwiesen bleibt.

Auf seiten der Fotografie ist das im wesentlichen apparative Zustande-bringen einer Abbildung heute bereits zu einem sowohl technik- als auch wissenschaftsgeschichtlichen Phänomen geworden. Damit scheint mindestens sichergestellt, daß die drängenden Fragen einer Fotobildsemantik nicht mehr mit den technischen Details apparativer Generierung eines Abbildes verwechselt werden. Nicht erst seit der Computer als digitales Fotolabor genutzt wird, sondern auch dazu, fotografische Bilder mediengerecht zu simulieren, steht in der gegenwärtigen Fotografie als Bildkunst die Abbildfunktion als Bindeglied zwischen Wirklichkeitsausschnitt und fotobildlicher Darstellung praktisch wie theoretisch auf dem Prüfstand. In der fotobildlichen Praxis unter der Überschrift "Gestaltung des Fotobildes im Rahmen technisch-apparativer Abbildlichkeit", in der Theorie des Fotobildes unter dem Titel der begrifflichen Gegenüberstellung von "Abbildfunktion und Bildfunktion".

In der heutigen Bildkunst, meine Damen und Herrn, stellt sich Werner Rauber dieser fotografischen Aufgabe. Sie bildet den Schwerpunkt in dieser Überblicksausstellung seiner Fotoarbeiten. Werner Rauber geht den Weg "Vom fotografierten Abbild zum fotografischen Bild", so der von ihm ausdrücklich gewählte Titel dieser Ausstellung. Im Untertitel, und darauf möchte ich eigens aufmerksam machen, verweist er nicht wie sonst üblich auf abbildend gewonnene Themen seiner "Fotoarbeiten", sondern auf deren präsentative Gliederungstypen: "Serien, Sequenzen, Tableaus". Mediengerechtheit versteht Werner Rauber als gestalterischen Handlungsspielraum, insofern er standardisierte Teile des fotografischen Mediums erkundet und auf ihre Bildmäßigkeit hin erprobt. Sein Metier ist nach wie vor die klassische Schwarzweißfotografie mit Kleinbild und Mittelformat als technischer Basis. Aus einem ganz einfachen Grund. Schon in der Erfindungsphase der Fotografie wurde Schwarzweiß als medieneigenes und obendrein nicht mit Abbildlichkeit im engeren Sinne zu verrechnendes Gestaltungsmittel erkannt und zügig entwickelt. Übrigens: Der ebenfalls sehr frühzeitig angestellte Vergleich der Schwarzweißfotografie mit der Handzeichnung bedarf nach wie vor des sorgfältigen Studiums und der begrifflichen Ausarbeitung.

Durch Belichtung und Entwicklung liefert das heute handelsübliche Material des Rollfilms einen Bild an Bild reihenden Negativstreifen, der gern zum Zweck der Einzelbildbeurteilung durch Kontaktstreifen bzw. Kontaktbögen als Positiv schon vor der Vergrößerung lesbar gemacht wird. Das Gitterwerk des Kontaktbogens zeigt in jeweils gleicher Größe wie das Negativ, schwarz gerahmt, die Einzelbilder. Diese durch Belichtung, Entwicklung und Kontaktbogen erschlossene Gitterstruktur verwendet Werner Rauber als Modell für die Gliederung seiner Fotoarbeiten, die Serie als Folge variierender Einzelbilder, die Sequenz als eigens geregelte Abfolge von Einzelbildern, etwa in der Ordnung des Nacheinanders von Aufnahmen des gleichen Motivs. In seinen Tableaus schließlich werden beide Gliederungstypen im horizontal-vertikalen Wechsel miteinander verschränkt. Strikt vertikal von unten nach oben oder strikt frontal ein Motiv aufzunehmen sind für Werner Rauber geeignete gestalterische Maßnahmen, insbesondere zentralperspektivische Vorgaben des technisch-apparativen Systems zu unterlaufen, das einzelne Fotobild in der Fläche zu halten und von temporalen (z. B. Tageszeiten, Jahreszeiten) bzw. topografischen Konnotationen (z. B. an diesem oder jenem Bauwerk aufgenommen) zu entblößen. Diese schon mit der Aufnahme eingeleiteten Maßnahmen werden in der seriellen oder sequenziellen Präsentation eigens unterstrichen. Als Beispiele dazu "Architekturen 1997" oder "Treppe 1992". Angesichts solcher Fotoarbeiten entpuppt sich eine der an Fotografen am häufigsten gestellten Frage: "Wo oder wann haben Sie das Bild gemacht?" als Scheinfrage.

Eine Bemerkung zu den gegenständlichen Aspekten in den Fotoarbeiten von Werner Rauber. Zum einen geht es um Natur, weniger als von selbst entstandene, vielmehr als durchkultivierte Landschaft, zum andern um selbstgemachte, hauptsächlich urbane Umwelt, als Architektur vor allem. Doch Werner Rauber behandelt keine natürlichen oder kultürliche Gegenstände im Ganzen. Meistens verwendet er nur ausgesuchte Details als gestalterische Mittel. Im komplexen Vorgang des Fotografierens von der Motivsuche bis zum fertigen Fotobild verwandelt er diese in geeignete Bildmittel, um Sichtweisen als visuelle "Weisen der Welterzeugung" (Goodman) zu vermitteln mit der Pointe, daß Unmittelbarkeit auch fotografisch nicht zu vermitteln ist.

Die zur fotografischen Gestaltung der Mittelbarkeit ingang gesetzten syntakto-semantischen Prozesse sind bei Werner Rauber durchgehend im Handeln fundiert. Er arbeitet daran, Entstehung von Sichtweisen durchschaubar zu machen. Beim Erzeugen fotografierter Abbilder geht es zunächst darum, aus der unser alltägliches Handeln begleitenden Wahrnehmung Sehweisen zu isolieren. Anhand dieser in Serien oder Sequenzen präsentierten Abbilder werden im fotografischen Bild Sichtweisen als selbständige visuelle Wahrnehmungsweisen emanzipiert mit dem Ziel, die fotografische Weltsicht kenntlich und somit kritisierbar zu machen. Dazu verwendet Werner Rauber etwa in "Landschaft mit 2 Bäumen" von 1993 das situative Nicht-sehen-Können als standortgebundenes Nicht-fotografieren-Können: ein motivisches Anfangsstück, paradigmatisch eingesetzt, um "Familienähnlichkeiten" Wittgensteinscher Prägung in fotobildlich provozierten Sichtweisen aufzudecken. Ludwig Wittgenstein erläutert in § 66 seiner "Philosophischen Untersuchungen": "...wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. (...) denk nicht, sondern schau!"

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Wirklichkeit als ,,Rohmaterial" von Dr. Sabine Graf

Seit Anfang der achtziger Jahre beschäftigt sich Werner Rauber intensiv mit der Fotografie. Mit seinen Bildern will der Künstler die eingeschränkte und vorgeprägte Wahrnehmung unserer Wirklichkeit thematisieren.

Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass ein Foto mehr als die Oberfläche einer Sache, eines Menschen, der Welt abbilde, stellte Bertolt Brecht fest. "Authentisch" und "analog zur Wirklichkeit" ist vielmehr das, was sie gestaltet. Die im Englischen gebräuchlichen Fügungen "to make a picture - to take a picture", frei übersetzt "ein Bild machen" und "ein Bild nehmen", aus der Wirklichkeit heraus lösen, damit kann sich der Saarbrücker Fotograf Werner Rauber eher anfreunden, bekannte er in einem Interview, das die Leiterin der Galerie im Bürgerhaus Nicole Nix vor drei Jahren mit ihm führte.

Damals zeigte die Neunkircher Galerie Arbeiten des 1950 in Dudweiler geborenen Fotografen. Gerade ging eine Ausstellung im Internationalen Begegnungs- und Forschungszentrum für Informatik, Schloss Dagstuhl, zu Ende. Auch diese Werkschau, überschrieben mit "Vom fotografierten Abbild zum fotografischen Bild" gab einen Überblick über die Sichtweisen Raubers. Für ihn steht fest, dass eine um Objektivität bemühte und dem Dokumentarischen Priorität einräumende Fotografie fragwürdig ist.

Gewiss, objektive Begebenheiten sind vorhanden, doch auf Grund "der medialen Bedingungen und Einschränkungen" verwässern sie im Bild. Objektivität des Gegebenen und Subjektivität des Fotografen sorgen ihm für fließende Übergänge. Dergestalt, dass die Wirklichkeit als Sonnenblume, Baum oder Bergehalde sein, wie er sagt, "Rohmaterial" ist.

Ein Foto genügt dabei nie. Es müssen ,,Serien, Sequenzen, Tableaus" sein, die das Mitglied des Saarländischen Künstlerbundes zum Quadrat organisiert oder zur Abfolge reiht. Zeit spielt dabei eine Rolle und ist zugleich außen vor. Über 26 Jahre fotografierte Werner Rauber eine Bergehalde. Dokumentierte die Veränderung und zugleich, fügt er hinzu, seine sich verändernde Sichtweise. Als Komposition konzentrieren sie einerseits den Zeitverlauf und heben ihn andererseits auf. Die Folgen imitieren. Ein bewusster Akt, betont Rauber.

Nach einem je individuellen Programm setzt er die Fotos neu zusammen. Bewegung löst sich auf in Form. Die Horizontlinien seiner Landschaften gehorchen einem bestimmten Rhythmus. Das Auge stockt, bleibt an den Einzelbildern hängen. Sie sind nur im Gesamtbild einer Komposition zu fassen, aber dennoch nicht vollends zusammenzubringen. Sprünge, Irritationen setzt Werner Rauber bewusst ein, sagt er, um den Betrachter im Bild zu halten. Treppenstufen kombiniert er zu Mosaiken in sanften Grautönen. Modernistische Hausdächer werden zu düsteren Plastiken vor unentschieden grauem Himmel.

Details der Architektur hat Werner Rauber in den Arbeiten der letzten Jahre immer wieder herausgegriffen und neu formiert. Ebenso die krakeligen, dürren Arme von winter-kahlen Platanen, die in die Luft greifen. Man glaubt, die Orte zu kennen und scheitert doch immer wieder, wenn man die Bilder auf ihr reales Abbild zurückführen will.

Das Prinzip Rauber erweist sich nicht nur, aber vor allem in diesen Momenten als voll gültig. Wir müssen lernen uns von der Verbindung zum Tatsächlichen zu verabschieden. "Das Bild steht für sich", greift er eine Haltung der Fotokunst auf. Ob das nicht ziemlich didaktisch wäre?, fragte seinerzeit Nicole Nix den Fotografen.  "Idealistisch", meinte er, wäre das bessere Wort. "Meine fotografische Absicht zielt nicht auf die Reproduktion der Wirklichkeit, sondern sie thematisiert unsere eingeschränkte und vorgeprägte Wahrnehmung dieser Wirklichkeit. Hierin sehe ich eine Möglichkeit der Fotografie, an der "Freiheit des Sehens" mitzuwirken‘, fasste er sein künstlerisches Credo zusammen.

Dass ihm dabei die Qualität seiner Fotos nicht einerlei ist, sondern ein so genanntes "schönes Bild" beabsichtigt ist und die "Augenlust" befeuert werden soll, gehöre für ihn ebenfalls zu seinem Schaffen, schickte er nach. Das geschieht mit der gebotenen Langsamkeit. auch wenn die in ihrer Bewegung das Abbild verwischenden Autos auf einer Straße das Gegenteil vermuten ließen. Auch sie ein Bild. umso mehr als sie nur noch zu ahnen, als zu erkennen sind.

Als "äußerst gemächlich", beschreibt er seine Arbeitsweise. Erst Anfang der achtziger Jahre begann er sich intensiv mit der Fotografie zu beschäftigen, geleitet von den Fragen "Was mache ich eigentlich?", "Was will ich eigentlich?" Viel ausprobiert habe er in diesen Jahren, erzählt Werner Rauber. In Ruhe. Ja nicht heute etwas machen und morgen irgendwo ausstellen. Mitte der achtziger Jahre begann er allmählich bei den Vorläufern der späteren Landeskunstausstellung seine Arbeiten zu zeigen. Seit ein paar Jahren ist er von allen großen Ausstellungen, die hier zu Lande stattfinden, nicht mehr wegzudenken. Zusammen mit einer Hand voll im Saarland lebender Fotografinnen und Fotografen zeigte er vor zwei Jahren im Dillinger Schloss seine Arbeiten. Auch das ein Beweis. dass er mit seiner Fotografie einen Akzent in der Region setzt. So viel lässt sich über die Person des Fotografen sagen. Was zahlt, was bleibt, ist das Bild. Nicht das Abbild der Wirklichkeit. Es hinkt ihr hinterher wie der müde Hase dem kecken Igel. "Im Bild bleiben", sagt Werner Rauber",  ist wichtig. Und schauen was passiert." Das mag letztlich auch einen neuen Blick auf die Wirklichkeit jenseits des Bildes eröffnen.

 

erschienen in "Arbeitnehmer", Heft 8, August 2000, Zeitschrift der Arbeitskammer des Saarlandes