"FarbeSehen",  Schloss Dagstuhl,  Internationales Begegnungs- u. Forschungszentrum für Informatik,   2008    ( Auswahl )

 

 

Fotografien, die gemeinhin als objektiver Wirklichkeitsersatz gelten, weil sie von einem Apparat ohne direktes Zutun eines Menschen hergestellt werden, unterliegen der Gefahr, einseitig und verkürzt wahrgenommen zu werden. Sie verfallen als tägliches Gebrauchsgut einem quasi automatischen, am Wiedererkennungsschema orientierten, rein zweckmäßigen Wahrnehmungsprozess, dem es nur um die Aufnahme von Informationen geht: erblicken, erkennen, identifizieren, auf den Begriff bringen, einordnen. Es wird  ausgeblendet, dass jede Fotografie eine wie auch immer geartete Transformation eines Gegenstandes in ein zweidimensionales Bild ist. 

Mein Anliegen seit mehr als 40 Jahren Arbeit mit dem Medium ist es zu zeigen, dass eine Fotografie nicht nur ein sklavisches Abbild der gegebenen Wirklichkeit mit der Zielsetzung nach Identifikation usw. ist, sondern dass sie immer auch Bild ist, bei dem es um Visualität und Ästhetik,  um  Ordnungen, Größen und Proportionen, um Linien, Formen und Flächen, um Helligkeiten, Farben und Farbübergänge geht. Das visuelle Geschehen auf der Bildfläche einer Fotografie darf deshalb nicht auf die auf ihr sichtbaren und identifizierbaren Abbildungen und ihre Bedeutung verkürzt werden. Eine Fotografie ist nicht nur ein Code, der zu entziffern ist, sondern sie ist auch ein Bild, das geschaut werden kann.